Delirmanagement in der Notaufnahme


Hintergrund

Ein Delir findet sich bei 10–15% der älteren Patient*innen, die in der Notaufnahme vorstellig werden (vgl. Inouye et al. 2014). Ebenso entwickeln Patient*innen mit der Diagnose Alzheimer-Krankheit in 56% der Fälle ein Delir, während des Krankenhausaufenthalts (vgl. Gross, A. et al. 2012). Damit diese Patient*innen die bestmögliche Behandlung erhalten, ist es von hoher Priorität, dass eine mögliche kognitive Einschränkung oder ein bereits bestehendes Delir frühzeitig erkannt wird.

Ziel

Im Notfallzentrum soll jeder Patient ≥65 Jahren eine kognitive Ersteinschätzung erhalten, um einen Delirgefährdeten oder deliranten Patient*innen frühzeitig zu erkennen und geeignete Interventionen einzuleiten.

Methode

Um ein valides und praxisrelevantes Screening Instrument auszuwählen, wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Hierfür wurde in Datenbanken (Pubmed und Cinahl) im Zeitraum von 2011 bis 2021, sowie in Fachzeitschriften und Büchern recherchiert Bei der systematischen Datenbankrecherche wurden insgesamt 437 Ergebnisse gefunden. Anschließend wurde die Recherche auf Metaanalysen und randomisierte kontrollierte Studien verfeinert (20 Treffer).  Nach Sichtung der Ergebnisse wurden zwei Metaanalyse und eine randomisierte kontrollierte Studie verwendet.

Aufgrund der Literaturrecherche wurde der 4 AT Score als geeignetes Screening Instrument identifiziert.

Projektaufbau

Während der Projektplanung herrschte eine enge Zusammenarbeit mit dem Chefarzt, den Teamleitungen und dem Team des Notfallzentrums. Hier konnten die Wünsche, Ängste und Anregungen mitaufgenommen und berücksichtigt werden.

Das Screening Instrument wurde in die elektronische Dokumentation mitaufgenommen und der folgende neue Prozess wurde ausgearbeitet und mittels einer Standard Operating Procedure (SOP) verschriftlicht.

Jeder Patient ≥65 Jahren erhält im Notfallzentrum von der erstversorgenden Pflegekraft, mittels des 4 AT, eine kognitive Ersteinschätzung. Beträgt der Wert 1 oder höher wird eine pflegerische Empfehlung im Verlegungsbericht hinterlegt. Hier wird empfohlen die pflegerischen Interventionen zur Delirprophylaxe/Behandlung und die Delirium Observation Scale (DOS) im weiteren stationären Verlauf anzuwenden. Ebenso verordnen die Ärzte im Notfallzentrum das Bedarfsmedikamentenschema und passen die aktuelle Medikation bedarfsgerecht an.

Die Räumlichkeiten des Notfallzentrums wurden mit Orientierungshilfen ausgestattet (Uhren, Kalender, Orientierungspunkte). Zusätzlich wurde ein Medikamentenschema zur Symptombehandlung mit der Neurologischen Abteilung vereinbart.

Im Laufe von drei Monaten wurde das gesamte Team des Notfallzentrums (pflegerisch und ärztlich) zum Thema Delir, Anwendung des 4 AT Scores und Verständnis des neuen Prozesses geschult. Hier wurde auch die hohe Priorität des Projekts dargelegt und auf die Ängste und Bedürfnisse der Teammitglieder eingegangen.

Evaluation

Für die Projektevaluation wurde eine quantitative Dokumentenanalyse durchgeführt. Vor der Implementierung erfolgte eine Ist-Analyse. Hierfür wurden insgesamt 100 Patienten, welche im Zeitraum vom 01.06-31.07.21 im Notfallzentrum aufgenommen wurden, ausgewertet. Die erhobenen Kategorien sind in der Abbildung 3 ersichtlich. Für die Dokumentenanalyse wurde genau definiert, nach welchen Schlagwörtern in der Dokumentation gesucht wird, welche Intervention und Medikamente gewertet werden und ab wann ein Verdacht auf Delir besteht.

Bei der Abschlussevaluation wurden ebenfalls 100 Patienten, welche im Zeitraum von 01.05-30.06.22 im Notfallzentrum aufgenommen werden, ausgewertet.

Einschlusskriterien:

  • ≥65 Jahre 
  • kognitive Einschränkung (F00-F05)
  • bekannte Demenz
  • min. 4 Tage Aufenthalt
  • diag. Delir (F05..)

Ausschlusskriterien:

  • ≤64 Jahre
  • Ambulante Patienten
  • Orientierte Patienten
  • 1-3 Tage Aufenthalt
  • Palliative Situation

Während der Implementierung wurde eine Zwischenevaluation bei 50 Patientenaufnahmen durchgeführt. Hier wurde stichprobenartig evaluiert, ob das Screening Instrument und der Prozess korrekt angewendet wurde.

Ergebnis (Abb. 1)

Anhand der Evaluationsergebnisse zeigt sich, dass es durch den 4 AT Score zu einer 53% Steigerung bei der Identifizierung der Delirgefährdeten Patient*innen und Patient*innen mit einem Delir gekommen ist. Ebenfalls werden 44% mehr Interventionen direkt im Notfallzentrum angeordnet. Auf den Stationen werden 20% mehr DOS geführt und 10% mehr Interventionen angewendet. Die Delirinzidenz ist nahezu identisch.

Die Patientengruppe sind in ihren Eigenschaften ausgeglichen (Abb. 2)

Abbildung 1 Grafische Darstellung der Ergebnisse

Abbildung 2 Vergleichbarkeit der Patientengruppen

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass durch die Anwendung des 4 AT Score mehr Patient*innen als gefährdet oder bereits delirant identifiziert werden können, was sich mit der gefundenen Literatur deckt (Shenkin et al. 2019; Tieges et al. 2021). Dadurch ist es möglich die geeigneten Interventionen unverzüglich einzuleiten und die Patientenversorgung zu optimieren. Auf die Inzidenzrate hatte die Implementierung vorerst keine Auswirkung. Dies war jedoch vorhersehbar, da durch die neue Sensibilisierung zum Thema Delir, der Fokus der Pflegefachkräfte und Ärzte vermehrt auf diesem Krankheitsbild liegt. Bei der Ist-Analyse wurde die Inzidenz durch die Analyse der Dokumentation in der Patientenakte, mit Hilfe von definierten Schlagwörtern, ermittelt. Bei der Abschlussevaluation zeigte sich, dass deutlich mehr Delirium Observation Scale angewendet und auch die pflegerische Dokumentation spezifischer wurde.

Die Intervention auf den Stationen waren bereits bei der Ist Analyse bereits bei 70%. Hier wurden jedoch vermehrt die Medikamente zur Symptombehandlung angewendet. Bei der Abschlussevaluation zeigte sich, dass die Interventionen deutlich früher begonnen und die Pflegerischen Intervention vermehrt angewendet wurden.

Fazit

Durch die Anwendung des 4 AT Score können deutlich mehr Patient*innen als gefährdet oder bereits delirant identifiziert werden. Dies ermöglicht es die geeigneten Interventionen frühzeitig zu beginnen und Patientenversorgung zu optimieren.

Die Schulung muss weiterhin regelmäßig angeboten werden, um neue Teammitglieder mit dem Prozess vertraut zu machen. Ebenso muss weiterhin auf das Thema Delir aufmerksam gemacht und die Pflegefachkräfte und Ärzte weiter Sensibilisiert werden.

Die Evaluation zeigte auch, dass die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen noch weiter ausgebaut werden muss, da bei den angeordneten Interventionen teilweiße nur eine Berufsgruppe vertreten war. Es ist ebenfalls zu überdenken das Programm der elektronischen Fallakte im Notfallzentrum anzupassen, damit die pflegerische Empfehlung automatisch bei einem 4 AT wert über eins, in den Verlegungsbericht eingefügt wird. Aktuell erfolgt dies durch die erhebenden Pflegefachkraft. Es zeigte sich jedoch, dass dies nicht bei jedem positiven 4 AT erfolgte.

 Delirmanagement in der Notaufnahme. Ein Best Practice Projekt zur Anpassung der Versorgungsprozesse

 

Literatur

Gross, A.; Jones R.; Habtemariam, D.; Fong, T.; Tommert, D.; Quach, L. (2012): Delirium and Long-term Cognitive Trajectory Among Persons With Dementia. Arch Int Med, 172 (17), S. 1324-1331.

Inouye, SK.; Westendorp, RG.; Saczynski, JS. (2014): Delirium in elderly people. Lancet, 383:911–922.

Maschke M. et al., Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir, S1-Leitlinie, 2020, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 02.09.2021)

Shenkin, S.; Fox, C.; Godfrey, M.; Siddiqi, N.; Goodacre, S.; Young, J.; Anand, A.; Grey, A.; Smith, J.; Ryan, T. (2018): Protocol for validation of the 4AT, a rapid screening tool for delirium: a multicentre prospective diagnostic test accuracy study. BMJ Open, 8 (2).

Tieges, Z.; Maclullich, A.; Anand, A.; Brookes, C.; Cassarino, M.; O'connor, M.; Ryan, D.; Saller, T.; Arora, R.; Chang, Y.; Agarwal, K.; Taffet, G.; Quinn, T.; Shenkin, SD.; Galvin, R. (2021): Diagnostic accuracy of the 4AT for delirium detection in older adults: systematic review and meta-analysis. Age Ageing.50 (3) :733-743.

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